Leaving Earth – A Tabletop Game Of The Conquenst Of Space 1956 – 1976 (von Joseph Fatula), so der – zugegebener Maßen etwas unhandliche – Titel (m)eines derzeitigen thematischen, optischen und spielmechanischen Highlights.
Ziel des Spiels
Jeder Spieler verkörpert ein Raumfahrtunternehmen, das im Verlauf des 21 Jahre (Runden) umfassenden Spiels Technologien erwirbt und testet, dabei Raumfahrzeuge aus Komponenten – im Wesentlichen Raketen(motoren), Kombinationen von Raketen(motoren) und bemannten und unbemannten Sonden bzw. Kapseln – zusammenstellt und mit ihnen Manöver(sequenzen) absolviert, um schließlich möglichst viele Punkte aus den zu Beginn per Zufall gezogenen und für alle geltenden Missionen zu ergattern.
Im Solospiel ist das davon etwas abweichende Ziel, mehr als die Hälfte aller zu Beginn ausliegenden Missionspunkte bis zum Ende des Jahres 1976 errungen zu haben.

Ablauf einer Runde
Zu Beginn eines Jahres erhält jeder Spieler seinen unveränderlichen Jahresetat von $25 (in Millionen). Überschüssige Beträge aus dem Vorjahr verfallen.
Mit diesem Etat kann der Spieler
- Technologie erwerben (i.d.R. $10),
- Komponenten für Raumfahrzeuge kaufen (zwischen $1 bis $15),
- Astronauten einstellen (i.d.R. einmalig $5).
Im weiteren Verlauf des Jahres (der Runde) wird der Spieler dann Missionen erfüllen, bei der er
- seine Technologie erprobt,
- Komponenten zu Raumfahrzeugen zusammensetzt,
- mit diesen Manöver durchführt:
- Flugmanöver, die das Raumfahrzeug von einem Ort zum angrenzenden nächsten Ort bewegen,
- Docking-Manöver, die Raumfahrzeuge zusammenfügen oder trennen können,
- Atmosphären-Eintritte (je nach Himmelskörper),
- Ladungen auf Himmelkörpern,
- und/oder unbekannte Orte erkundet.
Technologie erwerben und erproben
Beim Kauf einer Technologie (z.B. Atlas Rockets, siehe Bild) zieht man zufällig drei Karten* aus dem Stapel der Ergebniskarten und legt sie auf die Technologie.
Von nun an muss bei jedem Einsatz dieser Technologie eine der drei Ergebnisse zufällig gezogen werden, die entweder ein Erfolg („Success“), ein geringes Versagen („Minor Failure“) oder ein kapitales Versagen („Major Failure“) sein kann. Abhängig von der Technologie haben die unterschiedlichen Fehlfunktionen auch unterschiedliche Konsequenzen, i.d.R. wird die Komponente mindestens beschädigt oder gar das ganze Raumfahrzeug, in dem die Technologie eingesetzt werden sollte, zerstört. Wenn letzteres auch noch mit einem Astronauten an Bord passiert, gibt es für den Spieler konsequenter Weise Strafpunkte.
Um eine Technologie zu entwickeln und sie irgendwann zuverlässig einsetzen zu können, kann man nach einem Versagen die gezogene Ergebniskarte für $5 aus dem Stapel der drei Karten entfernen. Bei einem Erfolg kann man diese Ergebniskarte für $10 entfernen – es sei denn, der Erfolg ist die letzte auf der Technologie verbliebene Karte gewesen – in diesem Fall darf man sie kostenlos entfernen.
Sobald die letzte Ergebniskarte von einer Technologie entfernt wurde, kann diese zuverlässig (d.h. ohne Versagen) eingesetzt werden und damit gilt diese Technologie als erprobt. Dieser Zustand ist allerdings keine zwingende Notwendigkeit im Spiel: als Spieler kann ich mich auch entscheiden, meine Raumfahrzeuge mit ,,unsicherer“ Technik zu betreiben…
* SURVEING erhält nur eine Ergebniskarte.
Komponenten kaufen und zusammensetzen
Die Komponenten, die man kauft, sind entweder Raketen(-motoren), Sonden oder Kapseln (für die bemannte Raumfahrt).
Jede Komponente hat als eine Eigenschaften eine Masse (in willkürlichen Einheiten). Raketen(-motoren) leisten außerdem einen Schub (ebenfalls in willkürlichen Einheiten). Kapseln haben als weitere Angabe die Anzahl der Astronauten, für die sie Platz bieten. Der Kauf nahezu aller Komponenten erfordert zuvor den Erwerb einer zugehörigen Technologie. So kann man z.B. Atlas-Raketen nur dann kaufen (und einsetzen), wenn man zuvor über die Atlas Raketen-Technologie verfügt (sie muss nicht vollständig entwickelt sein).
Aus diesen Komponenten kann der Spieler – solange sich die Komponenten auf der Erde befinden – in beliebiger Weise seine Raumfahrzeuge zusammenstellen. Dazu legt er alle Komponenten (-Karten), auf eine der (vier) Raumfahrzeug-Karten, zu der auch jeweils ein (liebevoll gestaltetes)Holz-Raumschiff existiert, um das Raumfahrzeug auf der Karte zu repräsentieren. Sie bilden nun das Raumfahrzeug und ihre gemeinsame Masse bildet die Masse des Raumfahrzeugs. In der Regel wird man die Zusammenstellung der Komponenten abhängig von den zu absolvierenden Manövern und der vorhandenen Technologie zuvor berechnen(!).
Manöver durchführen
Ein mögliches Manöver ist die Bewegung auf dem Spielplan (Sonnensystem) von einem Ort (einer Karte) zu einem anderen, meistens zum unmittelbar angrenzenden.
Jedes dieser Manöver hat eine vorgegebene Schwierigkeit (als Zahl auf die Spielplan-Karte aufgedruckt). Zum Beispiel hat das Manöver von der Erde in den ,,Suborbital Space“ die Schwierigkeit 3. Um ein solches Manöver mit einem Raumfahrzeug erfolgreich durchzuführen, muss der erzeugte Schub mindestens so groß sein, wie das Produkt aus Masse und Schwierigkeit des Manövers:
\(Schub \geq Masse \times Geschwindigkeit\)
Beispiel-Manöver: Um eine Sonde (Masse 1) von der Erde in den ,,Suborbital Space“ zu befördern, benötigt man neben der Sonde noch einen Raketenmotor, z.B. die Juno-Rakete (Masse 1, Schub 4). Das Raumfahrzeug, bestehend aus einer Sonde und einer Juno hat nun eine Masse von 2. Um ein Manöver der Schwierigkeit 3 durchzuführen, muss mindestens ein Schub von 2×3 = 6 erzeugt werden. Also ist eine weitere Juno erforderlich, so dass das neue Raumfahrzeug, bestehend aus einer Sonde und zwei Juno nun eine Masse von 3 besitzt. Zwei Juno erzeugen einen Schub von 8, für das Manöver wären 3×3 = 9 erforderlich.
Erst mit der dritten Juno, die die Gesamtmasse auf 4 erhöht, den Schub jedoch auf 12, ist das Manöver durchführbar: 3×4 = 12 entspricht dem Schub von 3 Juno-Raketen. Für die Zündung jeder der drei Juno muss man nun noch jeweils(!) eine Ergebniskarte ziehen (jedes Mal aus allen noch auf der Juno-Technologie verbliebenen Ergebniskarten!). Sollte eine der Juno nicht zünden, findet das Manöver nicht statt, schlimmstenfalls („Major Failure“) wird dabei das Raumfahrzeug zerstört. Andernfalls hat der Spieler am Ende seines Manövers eine Sonde im Suborbital Space, denn die Juno sind verbraucht (und ihre Karten werden abgelegt).
Eine Atlas-Rakete erzeugt einen Schub von 27 bei einer Masse von 4. Mit dieser wäre das Manöver ebenfalls durchführbar: die Gesamtmasse von Sonde und Atlas beträgt 5, d.h. 5×3 = 15 und ist kleiner als der maximale Schub von 27. Aber: eine Atlas kostet $5, eine Juno $1. Damit ist die zuvor genannte Variante preiswerter (man bedenke das Jahresbudget von $25!).
[…]
Ausblick
Für die einfachsten Missionen sind o.g. Überlegungen überschaubar und verhältnismäßig schnell ausgetüftelt. Sobald man jedoch interplanetare Missionen, ggf. mit der Rückführung von Mensch und/oder Material zur Erde durchführen möchte, sind neben größeren Triebwerken (Saturn, Masse 20, Schub 200) auch der Atmosphären-Eintritt und die Landung als Technologie erforderlich. Für die bemannten Missionen müssen außerdem Lebenserhaltungssysteme entwickelt und Astronauten vor auftretender radioaktiver Strahlung geschützt werden. Interplanetare Flugmanöver dauern außerdem länger als ein Jahr, so dass Astronauten versorgt werden müssen. Das erfordert deutlich höhere Massen im Weltraum, als mit einem einzelnen Raumfahrzeug von der Erde aus befördert werden können. Technologisch hilft das Docking-Manöver, das es erlaubt, ins All beförderte Komponenten dort zu neuen Raumfahrzeugen zusammenzustellen oder einer grade von einem Planeten gestarteten Sonde neue Raketen zu verpassen, um sie auf den Weg zurück zur Erde zu schicken.
Spielerische Finessen bestehen auch darin, ein Raumfahrzeug mit einer noch nicht vollständig entwickelten Technologie ins Sonnensystem loszuschicken und die Technologie mit einem anderen Raumfahrzeug in Erdnähe zunächst zu erforschen, bis sie vom ursprünglichen Raumfahrzeug eingesetzt werden muss (z.B. Atmosphären-Wiedereintritt, Landung, …).
Fazit
Das Thema und die Spielmechanik finde ich absolut toll, thematisch passend und in ,,einem Guß“ umgesetzt. Unterstützt wird das Ganze durch eine tolle Grafik, die aus der Zeit des Wettlaufs im All stammend mittlerweile als Retro-Design wieder zeitgemäß ist. Am meisten fesselt mich aber die Tatsache, dass die ,,Raketenphysik“ hier durch einfache Mechanismen (und Mathematik) Einzug in ein Spiel mit einem verhältnismäßig einfachen Regelwerk gefunden hat. Man muss die (wenige) Mathematik und das (reichliche) Tüfteln an den Missionen aber sicherlich mögen – damit dürfte das Spiel sehr polarisieren.
Weiterhin bemerkenswert ist die Tatsache, dass der Autor selbst – Joseph Fatula – auf BGG auf viele Regelfragen antwortet und diese Fragen zum Anlass nimmt, sein Regelheft immer wieder mal zu überarbeiten (derzeit Version 4m, wenn ich nicht irre). Das Spiel ist wirklich mit viel liebe zum Detail gemacht!
Ich habe das Spiel bisher ausschließlich solitär gespielt, und als Solitär-Spiel finde ich es wirklich, wirklich, wirklich gut. Ich kann mir vorstellen, dass es mit mehreren Spielern mindestens anfangs zu relativ hoher Totzeit führt, da jeder Spieler doch mehr oder weniger umfangreichere Überlegung/Berechnungen für seine Missionsplanung anstellen muss. Das wird aber mit zunehmender Spielererfahrung abnehmen.
Neben der Wettlauf-Variante bietet der Mehrspielermodus auch eine kooperative und semikooperative Variante, bei der die Spieler entweder als gemeinsame Spieler eines Konzerns agieren oder aber Verträge schließen, Technologie teilen (verkaufen) und zumindest gemeinsame Missionen durchführen können…
Zutaten – Was ist in der Box?
- 1 Sonnensystem aus knapp 15 Karten, insbesondere erdnahe Himmelskörper,
- 20 Missionen, die verschiedene Etappen der (bemannten und unbemannten) Raumfahrt abdecken,
- 10 Technologien (einmal je Konzern),
- 5 Raumfahrtkonzerne mit vier Raumschiffkarten,
- 60 Erfolgs- und Misserfolgskarten, von denen je Technologie i.d.R. drei gezogen werden,
- die Jahre 1956-1976 auf einer Zeitleiste mit einem Rundenzähler,
- mehrere Priesen (behebbarer) Zufall, die über Erfolg oder Misserfolg bei der Verwendung einer Technologie entscheidet,
- 0-8 Schwierigkeitsgrade der Manöver.
Tipp
Den richtigen Kick gibt euch dann zum Spiel dieser „Soundtrack“: